Kurz nach der Veröffentlichung von Fiducia Supplicans erreichte mich die Anfrage einer Bekannten, wie sie den Inhalt dieser Erklärung mit ihrem Gewissen vereinbaren könne. Da sie mit dieser Frage sicher nicht alleine ist, habe ich mich entschieden, meine ausführliche Antwort an sie hier zu veröffentlichen.
Dr. Nina Heereman
Jerusalem, 24. Januar 2024
Liebe T.,
Sie schreiben, Sie seien verunsichert von der Tatsache, dass Papst Franziskus den Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare zugestimmt hat. Sie fragen nun, ob das Paar oder der Einzelne gesegnet wird, ob diese Segnungen mit der Bibel vereinbar seien, und wie wir dies alles den ebenso verunsicherten Gläubigen erklären sollen. Darüber hinaus stellt sich Ihnen die Frage, wie Sie sich dem Papst in einer Entscheidung unterordnen sollen, die spürbar ihrem Glaubenssinn widerspricht. Sie sagen, dass Sie die katholische Kirche und ihre Sakramente lieben und gerne weiterhin katholisch bleiben möchten. Bevor ich auf die einzelnen Aspekte eingehe, lassen Sie mich sagen, dass ich Ihre Verunsicherung verstehe und teile. Vielleicht die gute Nachricht vorweg: Es handelt sich bei dieser Deklaration zwar um eine Aussage, die lehramtliche Verbindlichkeit für sich in Anspruch nimmt, doch hat sie bisher nicht die Autorität, Sie in Ihrem Gewissen zu binden. Sie sind nicht nur frei, sondern vor Gott sogar verpflichtet, in dieser Frage Ihrem Gewissen zu folgen. Das versuche ich, im Folgenden darzulegen.
1) Zunächst muss man sagen: Die Deklaration Fiducia Supplicans (FS) des Glaubensdikasteriums wiederholt und bestätigt ganz klar die beständige Lehre der Kirche, dass nur im Zusammenhang der Ehe, "die sexuellen Beziehungen ihren natürlichen, angemessenen und vollständig menschlichen Sinn [finden]. Die Lehre der Kirche hält an diesem Punkt unverändert fest“ (FS #4). Dementsprechend ist die Kirche, wie schon in dem Responsum von 2021dargelegt, nicht befugt, Paare liturgisch zu segnen, die in sogenannten „irregulären Beziehungen“ leben, also sexuelle Beziehungen außerhalb einer sakramentalen Ehe unterhalten. Kardinal Fernandez, der Vorsitzende des DDF, hat diesen Punkt seit der Veröffentlichung der Deklaration in zahlreichen Interviews immer wieder betont, insbesondere in seiner am 4. Januar veröffentlichten Erklärung zur Auslegung von Fiducia Supplicans. Das Dokument ist ganz deutlich: Die Kirche hat ihre Sexuallehre nicht geändert. Jegliche sexuelle Betätigung außerhalb der Ehe gilt weiterhin als Sünde. Dies bedeutet, dass sie objektiv dem Willen Gottes widerspricht und von daher den Menschen nicht zu einem Leben in Fülle und voller Gemeinschaft mit Gott führen kann. An dieser Lehre, die ich vor zwei Jahren einmal in einem Video erklärt habe, hat diese Deklaration rein gar nichts geändert, weshalb sie auch so ausdrücklich darauf besteht, dass die Antwort des Dikasteriums von 2021, die jeglichen liturgischen Segen verbietet, weiterhin gültig bleibt. „In streng liturgischer Sicht“, so die Erklärung, „erfordert [nämlich] die Segnung, dass das was gesegnet wird, dem Willen Gottes entspricht, wie dies in der Lehre der Kirche zum Ausdruck kommt“ (FS #9).
2) Wo liegt dann das Problem? Wozu das ganze Bohei? Und warum folgern weltweit sowohl die Medien als auch unzählbare Bischöfe und Theologen aus der Deklaration, dass der Heilige Vater nun dennoch die Tür für die Segnung von Paaren in irregulären Situationen geöffnet habe?
Das eigentliche Problem besteht darin, dass die Deklaration behauptet, eine Weiterentwicklung dessen vorzulegen, „was vom Lehramt und in den offiziellen Texten der Kirche über die Segnungen gesagt wurde“, um somit „das klassische Verständnis von Segnung zu erweitern und zu bereichern“ (Präsentation). Sie tut dies, indem sie eine Differenzierung zwischen „liturgischen oder rituellen“ und nicht-liturgischen, sogenannten „spontanen oder seelsorgerisch motivierten“ Segnungen einführt und genehmigt, dass letztere auch Paaren in irregulären Situationen gegeben werden können, wenn man jeglichen Anlass zu einer Verwechslung mit dem Ehesakrament vermeide. Die Deklaration schafft hier die Möglichkeit eines Segens, der der Bitte um Gottes Segen derjenigen nachkommen soll, die nicht
die Legitimation ihres eigenen Status beanspruchen, sondern darum bitten, dass alles, was in ihrem Leben und ihren Beziehungen wahr, gut und menschlich gültig ist, durch die Gegenwart des Heiligen Geistes bereichert, geheilt und erhöht wird. Diese Formen des Segens sind Ausdruck der Bitte an Gott, jene Hilfen zu gewähren, die aus den Anregungen seines Geistes hervorgehen - die die klassische Theologie ‚helfende Gnaden‘ nennt -, damit die menschlichen Beziehungen in der Treue zur Botschaft des Evangeliums reifen und wachsen, sich von ihren Unvollkommenheiten und Schwächen befreien und sich in der immer größeren Dimension der göttlichen Liebe ausdrücken können (FS #31).
Wenn man die Deklaration beim Wort nimmt, dann kann man daraus eigentlich nur schließen, wie es Kardinal Fernandez auch selbst in seiner Erklärung vom 4. Januar tut, dass die Priester eingeladen sind, ein Segensgebet zu sprechen, dass Gott ausdrücklich darum bittet, dass die beiden Menschen die Gnade erlangen, gemäß dem Willen Gottes, d.h., sexuell enthaltsam zu leben. In der nachgereichten Erklärung des Kardinals erscheint es sogar so, als solle der Priester die beiden nicht als Paar, sondern jeden der beiden einzeln segnen. Wenn letzteres tatsächlich die Intention der Deklaration war, dann gäbe es im Grunde nicht viel dagegen einzuwenden. Leider spricht die Deklaration jedoch ausdrücklich von der Segnung von Paaren (# 38) und nicht von der Segnung einzelner Menschen in irregulären Situationen, was selbstverständlich immer erlaubt ist.[1] Die Kirche hat schon immer den Segen auf ausnahmslos alle ihre Kinder herabgerufen, ganz unabhängig vom Grad der Heilig- oder Sündhaftigkeit, damit ihnen die Gnade der Bekehrung zuteilwerde und sie von der Gefangenschaft in der Sünde befreit werden. Dieser Form des Segens bedürfen wir alle, und zwar täglich, weil wir alle Sünder sind. Wenn aber ein Paar in einer irregulären Situation um einen Segen bittet, dann doch deshalb, weil es den Segen der Kirche für seine Verbindung wünscht. Mit anderen Worten, weil es zu hören wünscht, dass Gott ihre Verbindung „gut heißt“, denn nichts anderes bedeutet segnen (bene-dicere). Ein solches Paar wäre sicher nicht erfreut, wenn es den Priester um Keuschheit und Enthaltsamkeit beten hört und sie dann jeweils nur einzeln segnet.
Sie sehen, das Empfinden der Verwirrung ist berechtigt, zumal die Deklaration ja weithin so interpretiert wird, als habe der Heilige Vater nun plötzlich die Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren erlaubt, was nichts anderes bedeuten würde, als dass der Heilige Vater solche Beziehung “gutheißt.“ Dies wiederum wäre tatsächlich ein Skandal, denn der Heilige Vater kann das nicht gutheißen, was nach dem eindeutigen Zeugnis der Schrift, von Gott her nicht gutgeheißen, also von Gott her nicht gesegnet ist (Siehe mein Video und den exzellenten Artikel „Segen ohne Umkehr wäre Lüge“, S. 17-19 in dieser Beilage der Tagespost). Nun hat der Heilige Vater sicher nicht den Eindruck erwecken wollen, als ob er außerehelichen Geschlechtsverkehr, egal welcher Sorte, gutheißen will. In diesem Punkt ist die Deklaration unmissverständlich. Tatsache ist jedoch, dass er mit dieser Deklaration erlaubt, Paare in irregulären Situationen unter bestimmten Bedingungen zu segnen. Er will mit dieser Geste die pastorale Sorge der Kirche und den Beistand Gottes für die betroffenen Paare zum Ausdruck bringen.[2] Es soll zwar nicht die Beziehung, wohl aber das Paar gesegnet werden, und hier liegt leider das Problem. Denn um diese pastorale Geste zu ermöglichen, war es nötig, sozusagen eine neue Definition von Segen zu erfinden, die den Segen nicht als Ausdruck des Gutheißens, sondern als Fürbitte um Gottes Hilfe interpretiert (# 38). Zweitens, und auch das ist problematisch, spricht die Deklaration in Bezug auf gleichgeschlechtliche Beziehungen von „Paaren“, eine Definition, die das Lehramt der Kirche bisher immer abgelehnt hat.
Der entscheidende problematische Punkt der Deklaration liegt in der Behauptung der Erklärung, das klassische Verständnis von Segen zu erweitern und zu bereichern, d.h., eine Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre über den Segen vorzulegen. Tatsächlich entwickelt sich die Lehre der Kirche ständig fort. Dies ist schon in dem Satz Jesu enthalten: „Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen“ (Joh 16,12-13). In Jesus ist uns zwar die Fülle der Offenbarung geschenkt, doch gleichsam wie in einem Samenkorn, das sich erst entfalten muss, damit die ganze Fülle seines Wesens und seiner Schönheit offenbar wird. Eine solche Entwicklung ergibt sich organisch aus ihrem Ursprung, kann jedoch meist erst nach Jahrhunderten, manchmal sogar einem Jahrtausend, festgestellt werden. Eine Entwicklung der Lehre ist ein organischer Prozess, nicht eine Entscheidung, die am Schreibtisch eines einzigen Theologen oder Bischofs gefällt werden kann. Deshalb kann niemand, nicht einmal der Papst, per Dekret oder Deklaration die Lehre der Kirche „weiterentwickeln“.
Ob in der von Kardinal Fernandez hier vorgelegten Lehre über den pastoralen Segen tatsächlich eine organische Weiterentwicklung des Segens, so wie er von der Schrift und Tradition her verstanden wird, vorliegt, oder ob vielmehr eine Korruption der beständigen Lehre der Kirche gegeben ist, wird die Zeit und letztlich nur die einmütige Annahme dieser Lehre von Seiten der Universalkirche zeigen. Es ist eine wichtige und dringende Frage, da sie sowohl das rechte Verhältnis zwischen Pastoral und Lehre, die Natur des Segens selbst, und schließlich auch das Wesen des Priestertums betrifft. Wir müssen uns als Kirche fragen, ob wir eine solche Entwicklung bestätigen können, ohne unsere Sexualethik zu ändern. Bisher hat die Kirche immer an einem uralten Prinzip festgehalten, das lautet: Lex Orandi, Lex Credendi. Das bedeutet, dass man aus dem, was die Kirche betet, schließen kann, woran sie glaubt. Ein Gebet ist also zugleich auch immer ein Glaubensbekenntnis. Dieses Gesetz wird besonders deutlich im Akt des Segnens, den die Kirche immer mit einem Gebet begleitet, das zum Ausdruck bringt, was genau sie von Gott für die Gesegneten erbittet. Das Gebet kann und darf dabei dem Glauben der Kirche nicht widersprechen. Die Deklaration leitet nun den geweihten Amtsträger dazu an, z.B., um „Frieden, Gesundheit, einen Geist der Geduld, des Dialogs und der gegenseitigen Hilfe“ (#38) für die beiden zu bitten, „aber auch um Gottes Licht und Kraft, um seinen Willen voll erfüllen zu können“. Daran wäre nichts auszusetzen, da der Priester ja ausdrücklich darum bittet, dass die so gesegneten, den Willen Gottes klar erkennen können, und sogar die Kraft erlangen, diesen zu erfüllen, d.h., dem Willen Gottes gemäß sexuell enthaltsam zu leben. Nun kommt aber hinzu, dass der Akt des Segens in sich selbst auch ein Sprachakt ist. Indem der Priester die beiden als Paar und nicht als einzelne segnet, bringt der Akt des Segens zum Ausdruck, dass Gott die Paarbeziehung gutheißt, da die beiden ja als Paar gesegnet werden sollen.
Nun besteht Kardinal Fernandez darauf, dass man ja nur das Paar, nicht aber ihre sexuelle Beziehung segnen würde. Der Priester solle allein „darum bitten, dass alles, was in ihrem Leben und ihren Beziehungen wahr, gut und menschlich gültig ist, durch die Gegenwart des Heiligen Geistes bereichert, geheilt und erhöht wird“. In Bezug auf wiederverheiratete Geschiedene, die sich entschlossen haben, völlig enthaltsam zu leben, ist daran überhaupt nichts auszusetzen (siehe Johannes Paul II, (Familiaris Consortio #84). Angewandt auf die Beziehung zweier Menschen des gleichen Geschlechts, ergibt sich jedoch erstens das Problem, dass es nicht einsichtig ist, inwiefern man die Begriffe „Beziehung“ und „Paar“ voneinander trennen kann. Schließlich ist es die Beziehung, die die beiden zum „Paar“ macht, als welches sie in der Öffentlichkeit als zueinander gehörend anerkannt werden wollen. Daraus ergibt sich sodann, zweitens, ein eklatanter Widerspruch zum Magisterium von Johannes Paul II und Papst Benedikt. In seinem nachsynodalen Schreiben, Ecclesia in Europa, hat Johannes Paul II. ausdrücklich vor Versuchen gewarnt, „Partnerschaften zu akzeptieren, in denen der Unterschied im Geschlecht nicht mehr wesentlich ist“. Die Kirche hat bisher das Wort „Paar“ deshalb bewusst ausschließlich für die Beziehung zwischen Mann und Frau gebraucht. Gleichermaßen hat Papst Benedict 2008 in einer Ansprache Besorgnis darüber ausgedrückt, dass sich die Zahl der sogenannten »De-facto-Partnerschaften« vervielfacht hat. Ein kirchliches Dokument, wie Fiducia Supplicans, das nun in seinem Wortlaut gleichgeschlechtliche Beziehungen als Paare anerkennt, steht damit nicht mehr in der Tradition der bisher geltenden Lehre.
Wenn des Weiteren, wie Kardinal Fernandez behauptet, ein liturgischer Segen wesentlich verschieden wäre von einem nicht-liturgischen Segen, dann müsste man daraus eigentlich folgern, dass ein Priester nur in der Liturgie in Persona Christi handelt. Der priesterliche Segen ist aber nach kirchlichem Verständnis immer der Segen Jesu Christi selbst, egal ob er in der Liturgie oder an der Straßenkreuzung oder auf einer Wallfahrt gespendet wird. Und da Christus nicht ein Verhalten gutheißen kann, das nach dem eindeutigen Zeugnis der Schrift, dem Willen Gottes widerspricht (vgl. Lev 18:22; Röm 1:26-27; 1 Kor 6,9, 1 Tim 1:10) und für dessen Wiedergutmachung er selbst am Kreuz sein Leben hingegeben hat, würde er sicherlich auch außerhalb der Liturgie keine sexuell irreguläre Beziehung segnen. Er will ja die Menschen zum Leben in Fülle führen und nicht in die Irre oder gar in die Hölle.
3) Dies führt mich nun endlich zum eigentlichen Kern Ihrer Frage. Sie schreiben: „Ich weiß, dass wir uns den Entscheidungen unseres Papstes unterordnen müssen.“ Sie lieben die Kirche und ihre Sakramente und doch haben Sie den Eindruck, dass Sie sich nun in einem Konflikt zwischen der Treue zum Papst auf der einen Seite und der Treue zum Wort Gottes und dem eigenen Gewissen auf der anderen Seite befinden.
Müssen wir uns den Entscheidungen des Papstes tatsächlich bedingungslos unterordnen? Ihre Frage ist wichtig, da ein falsches Gehorsamsverständnis viele Menschen davon abhält, in die katholische Kirche einzutreten, oder sie jetzt sogar dazu verleitet, aus der Kirche auszutreten. Die Antwort ist: Ja und Nein, es kommt drauf an. Der Katholik ist nicht verpflichtet, sein eigenes Denken im Weihwasserbecken zu ersäufen und jedes Wort aus Rom gleichsam als Wort Gottes zu empfangen und zu befolgen. Oder, wie es ein spanischer Bischof treffend ausgedrückt hat: „Wenn ein Mann die Kirche betritt, nimmt er den Hut ab, nicht aber den Kopf.“ Die Fälle, in denen wir uns den Entscheidungen des Papstes, wie Sie schreiben, „bedingungslos unterordnen müssen“, sind ganz genau definiert und sehr eng umgrenzt. Wenn der Papst „ex cathedra“ spricht, dann glauben wir tatsächlich, dass er sich des Charismas der Unfehlbarkeit erfreut, und in einem solchen Fall, haben wir die Entscheidung im Glaubensgehorsam anzunehmen (Lumen Gentium 25, KKK 891).
Auch und vor allen Dingen sind wir verpflichtet, dem ordentlichen Lehramt der Kirche, religiösen Gehorsam des Willens zu leisten, wenn es eine Lehre vorlegt, “die zu einem besseren Verständnis der Offenbarung in Fragen des Glaubens und der Sitten führt“ (KKK 892). Ein gutes Beispiel für eine solche Ausübung des päpstlichen ordentlichen Lehramtes war die Enzyklika Humanae Vitae, über die künstliche Empfängnisverhütung. In diesem Fall hat der Heilige Vater dargelegt, wie im Lichte des Wortes Gottes und der beständigen Lehre der Kirche der Gebrauch der gerade neu auf den Markt gekommenen künstlichen Verhütungsmittel zu beurteilen ist, und hat festgestellt, dass deren Gebrauch nicht mit der Lehre Christi über die menschliche Sexualität übereinstimmt. Die eigentliche Aufgabe des Papstes und der Bischöfe ist es ja, die von Christus seiner Kirche übergebene Offenbarung rein und ohne Fehler zu bewahren. Das Lehramt muss, wie es der Katechismus formuliert, “das Volk vor Verirrungen und Glaubensschwäche schützen und ihm die objektive Möglichkeit gewährleisten, den ursprünglichen Glauben irrtumsfrei zu bekennen. Der pastorale Auftrag des Lehramtes ist es, zu wachen, dass das Gottesvolk in der befreienden Wahrheit bleibt“ (KKK 890). Das bedeutet, dass das Lehramt niemals eine Lehre vorlegen kann, die der von Christus seiner Kirche anvertrauten Offenbarung widerspricht. Denn, so lehrt das Zweite Vatikanische Konzil: “Das Lehramt steht ... nicht über dem Wort Gottes, sondern dient ihm, indem es nur lehrt, was überliefert ist, da es ja dieses [das Wort Gottes] nach göttlichem Auftrag und mit dem Beistand des Heiligen Geistes ehrfürchtig hört, heilig bewahrt und treu erklärt und all das, was es als von Gott geoffenbart zu glauben vorlegt, aus diesem einen Erbe des Glaubens schöpft“ (Dei Verbum #10; siehe auch KKK 85).
Die alles entscheidende Frage ist jedoch, wann es sich um eine Entscheidung des ordentlichen Lehramtes handelt. Gerade weil die Kirche um die Schwächen ihrer Hirten weiß, gibt es ganz genaue theologische Kriterien, um dies zu ermessen. Etwas ist nicht einfach schon deshalb Lehre der Kirche, weil ein Kardinal dies per Deklaration so festgelegt hat, selbst wenn diese die Unterschrift des Papstes trägt. Eine behauptete Weiterentwicklung der Lehre muss sich daran messen lassen, ob sie tatsächlich eine Weiterentwicklung und nicht eventuell eine Degeneration oder gar einen Bruch darstellt. Die ablehnende Reaktion von unzähligen Bischöfen und sogar Bischofskonferenzen auf der ganzen Welt, lässt berechtigte Zweifel daran zu, ob es sich im Fall von Fiducia Supplicans um eine, das Gewissen bindende, Entscheidung des Lehramtes handelt. Päpstliche Äußerungen oder Entscheidungen sind nicht unter allen Umständen über jede Kritik erhaben. Joseph Ratzinger hält es sogar für möglich, dass sie der Schrift oder dem Glauben widersprechen können und hat dazu folgendes zu sagen: “Kritik an päpstlichen Äußerungen [wird] in dem Maß möglich und nötig sein, in dem ihnen die Deckung in Schrift und Credo bzw. im Glauben der Gesamtkirche fehlt. Wo weder Einmütigkeit der Gesamtkirche vorliegt, noch ein klares Zeugnis der Quellen gegeben ist, da ist auch eine verbindliche Entscheidung nicht möglich; würde sie formal gefällt, so fehlten ihre Bedingungen, und damit müsste die Frage nach ihrer Legitimität erhoben werden“.[3]
Meines Erachtens liegt mit Fiducia Supplicans genau der von Joseph Ratzinger beschriebene Fall vor: Erstens besteht offensichtlich keine moralische Einmütigkeit des Weltepiskopats. Es gibt sogar schon eine eigene Wikipedia Seite, die alle Bischöfe und Bischofskonferenzen auflistet, die die Deklaration kritisiert oder sogar abgelehnt haben. Dabei handelt es sich bei Weitem nicht nur um die Bischöfe Afrikas, die man nun herablassend als kulturell konditioniert darstellen möchte, ohne sich zu fragen, inwiefern wir selbst unter dem Druck der uns umgebenden Kultur handeln. Zahlreiche Bischöfe und Bischofskonferenzen in Osteuropa – und sogar die Bischofskonferenz des vollkommen säkularisierten westeuropäischen Holland – haben ihre Stimme gegen Fiducia Supplicans erhoben und beschlossen, dass die Deklaration in ihren Diözesen nicht umgesetzt werden darf, ebenso in Asien, im Mittleren Osten, in Mittel- und Südamerika, in Spanien und in Frankreich sogar eine gesamte regionale Bischofskonferenz. Des Weiteren hat eine ganze mit Rom unierte Partikularkirche erklärt, dass die Deklaration weltweit in ihrem Gebiet keine kanonische Gültigkeit hat. In den USA ist man zwar vorsichtiger mit Kritik, aber die große Mehrheit der Verlautbarungen besteht darauf, dass es keine Entwicklung in der Lehre gegeben hat. Hinzu kommen zahlreiche Priestervereinigungen in den USA, England, Australien, und Frankreich. Die globale Reaktion schwankt zwischen direkter Ablehnung und modifizierter Akzeptanz. Jubel hört man nur aus Deutschland und Belgien und ein paar weiteren säkularisierten westeuropäischen Kirchen. Einmütigkeit der Gesamtkirche sieht anders aus.
Zweitens kann sich die angebliche Weiterentwicklung des kirchlichen Verständnisses vom priesterlichen Segen weder auf die Schrift noch auf das Credo beziehen. Zwar enthält die Deklaration einen langen Exkurs über Segen in der Bibel, doch hat dieser nichts mit der Unterscheidung von liturgischem und außer-liturgischem Segen zu tun. Auch fehlt das klare Zeugnis der Quellen, die nachweisen könnten, dass es sich hier um eine organische Weiterentwicklung der Lehre der Kirche handelt. Statt auf das Magisterium vorhergehender Päpste zurückzugreifen und von ihnen her eine kontinuierliche Weiterentwicklung aufzuzeigen, erfindet Kardinal Fernandez die Neuigkeit eines personalen pastoralen Magisteriums des jetzigen Papstes. Ein solches Personalmagisterium als theologische Quelle ist der Tradition der Kirche jedoch unbekannt. Im Grunde behandelt Kardinal Fernandez Papst Franziskus so, als sei letzterer schon heiliggesprochen und zum Kirchenlehrer ernannt worden. Darüber hinaus kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass die jetzige Deklaration im direkten Widerspruch zu der Lehre desselben Papstes steht, wie er sie noch vor zwei Jahren approbiert hat. Hinzu kommt, dass die Kirche bisher immer daran festgehalten hat, dass man Orthodoxie und Orthopraxie nicht trennen kann.
Dieser eklatante Widerspruch soll nun dadurch aufgehoben werden, dass man eine Unterscheidung zwischen liturgischen und nicht liturgischen, spontanen Segnungen einführt. Das hebt aber den Widerspruch in der Lehre nicht auf, denn Segnungen sind eine Weise des Lehrens; sie haben immer auch eine didaktische Funktion. Wenn ein Kind einen Priester zwei Personen segnen sieht, dann versteht es, dass der Priester diese Verbindung gutheißt. Genau diese Gutheißung erbitten ja auch die zu Segnenden von der Kirche. Die Kirche kann deshalb nicht, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln, auf der einen Seite in ihrer Lehre die außereheliche sexuelle Verbindung verurteilen, gleichzeitig aber mit ihren Taten zu verstehen geben, dass sie diese gutheißt. Die Kirche muss sich hüten, wie sie es immer getan hat, in ihrer Praxis öffentlich der eigenen Lehre zu widersprechen, die ja nicht die ihrige ist, sondern die Offenbarung, die sie von Jesus Christus empfangen hat, und die zu hüten und rein zu bewahren vornehmlich die Aufgabe des Petrusamtes ist. In dieser Hinsicht ist es heilsam, sich in Erinnerung zu rufen, was Joseph Ratzinger in Bezug auf das Zweite Vatikanische Konzil geschrieben hat: “In der Vereinigung von Wahrheit und Liebe, von »Lehre« und Hirtensorge liegt das Eigentümliche der pastoralen Idee des Konzils, das damit gerade hinter die Zertrennung in Pragmatismus und Doktrinalismus zurückgreifen wollte auf die biblische Einheit beider, die letztlich in Christus gründet, der Logos und Hirte in einem ist: Als Logos ist er Hirte, als Hirte Logos.”[4] Das gleiche bringt der Apostel Paulus zum Ausdruck, wenn er schreibt: „Gott ist treu, er bürgt dafür, dass unser Wort euch gegenüber nicht Ja und Nein zugleich ist. Denn Gottes Sohn Jesus Christus ... ist nicht als Ja und Nein zugleich gekommen; in ihm ist das Ja verwirklicht“ (2 Kor 1:18-19).
Insofern muss man sagen, dass, obwohl die Deklaration formal verabschiedet wurde, die Bedingungen für eine verbindliche Entscheidung fehlen und die Frage nach ihrer Legitimität berechtigt ist. Welch große Gewissensfreiheit der Katholik gegenüber so einer Deklaration hat, sehen wir am Beispiel des Heiligen John Henry Newman. Er selbst war zwar von der Unfehlbarkeit des Papstes überzeugt, lehnte aber deren Dogmatisierung strikt ab. Nun kam es aber auf dem Ersten Vatikanischen Konzil dennoch zu genau dieser Dogmatisierung. Newmans Reaktion darauf ist vielleicht zunächst erstaunlich, aber doch lehrreich. Da mehr als 80 von 500 Bischöfen heftigen Widerstand geleistet hatten und abgereist waren, da sie, in den Worten von Newman, „nichts mit diesem Akt zu tun haben wollten“, fragt er sich nun, ob die Definition tatsächlich mit der Autorität eines Ökumenischen Konzils zu ihm komme. Er bezweifelt dies, da ein Konzil, um gültig zu sein, zumindest der moralischen Einmütigkeit der Bischöfe bedarf. Da diese fehlte, so Newman, hinge jetzt alles davon ab, was die abweichenden Bischöfe tun. „Wenn sie sich trennen und nach Hause gehen, ohne als Körperschaft zu handeln, wenn sie nur individuell oder als Individuen handeln, und jeder auf seine Weise, dann würde ich in ihrem Widerspruch zur Mehrheit nicht die Kraft, die Festigkeit und die Einheit des Standpunkts erkennen, die einen echten Fall mangelnder moralischer Einigkeit im Konzil schafft“. Wenn das Konzil also zu Ende geht, „ohne Umkehr oder Modifikation der Definition oder ohne eine effektive Bewegung gegen sie seitens der Dissidenten“, dann gäbe es „gute Gründe zu sagen, dass der Mangel an moralischer Einigkeit nicht nachgewiesen wurde“. In diesem Fall würde Newman also die Definition mit der Autorität eines Konzils annehmen. Des Weiteren schreibt er, dass, wenn „die Definition von der Gesamtheit der Gläubigen konsequent als gültig oder als Ausdruck einer Wahrheit akzeptiert wird, dann wird sie ebenfalls unsere Zustimmung beanspruchen kraft des großen Diktums 'Securus judicat orbis terrarum' (Der Erdkreis urteilt sicher)“.[5] Tatsächlich ist beides eingetreten. Die „dissidenten Bischöfe“ haben nicht gemeinsam die Stimme erhoben, der Erdkreis hat das Dogma im Glauben einmütig angenommen, und Newman hat das Dogma als gültig und für sein Gewissen bindend akzeptiert. Solange die Einmütigkeit der Bischöfe allerdings nicht gesichert war, hat sich Newman selbst gegenüber einer Konzilsentscheidung die Gewissensfreiheit bewahrt, diese als ungültig ansehen zu dürfen, bis nicht eine von diesen beiden Bedingungen erfüllt war.
Ich denke, wir befinden uns zurzeit in einer ähnlichen Situation. Nicht nur ein paar Bischöfe, sondern ganze Bischofskonferenzen, ja sogar ein ganzer Kontinent, haben sich geschlossen gegen die behauptete Weiterentwicklung der Lehre in Fiducia Supplicans gestellt. Darüber hinaus zeigt sich der Glaubenssinn gerade der praktizierenden Katholiken weltweit verstört von dieser Erklärung. Dabei sind es gerade „die Kleinen“, auf deren Glauben Papst Franziskus so großen Wert als Quelle der Offenbarung legt, die Anstoß (Skandalon) an dieser Entscheidung nehmen (vgl. Mt 18:6).
Ob und wie verbindlich diese Entscheidung ist, wird sich demnach erst mit der Zeit herausstellen. Meines Erachtens zeigt die Reaktion der Bischöfe, wie auch der anderen Konfessionen, dass diese Deklaration langfristig nicht haltbar sein wird. Zu viele sind auch die einfachen Gläubigen, die instinktiv spüren, dass man nicht ein Paar in einer irregulären Situation segnen kann, ohne damit den irrigen Eindruck zu erwecken, dass man auch ihre Beziehung als Paar segnet. Wahre pastorale Liebe vermeidet alles, was auch nur ansatzweise das Heil unserer Seele gefährden könnte.
Daher bin ich der festen Überzeugung, dass Priester die Bitte um den Segen eines Paares in einer außerehelichen sexuellen Beziehung aus Gehorsam zu Gott und aus Liebe zu den betroffenen Menschen verweigern müssen. Dass sie dies dürfen, ergibt sich auch aus der Zustimmung des Papstes zu der Erklärung der Pan-afrikanischen Bischofskonferenz, Fiducia Supplicans auf ihrem Kontinent nicht umzusetzen (unbeschadet der Rechte einzelner Bischöfe, dies trotzdem zu tun). Der Heilige John Henry Newman, der große Verteidiger der Gewissensfreiheit gegenüber zweifelhaften päpstlichen Entscheidungen, zitiert in diesem Zusammenhang zwei herausragende Theologen der Kirchengeschichte. Kardinal Turrecremata, der zu seiner Zeit ein glühender Verteidiger des Papstamtes war, schrieb in seinem Werk Summe über die Kirche gegen die, die die Macht des Papstes bekämpfen, dennoch folgendes:
Obwohl es offensichtlich aus der Tatsache folgt, dass der Papst zuweilen irren kann und Dinge befehlen kann, die nicht getan werden sollten, dass wir ihm nicht einfach in allem gehorchen sollen, zeigt das nicht, dass ihm nicht vor allem dann gehorcht werden muss, wenn seine Befehle gut sind. Um zu wissen, in welchen Fällen ihm gehorcht werden soll und in welchen nicht ... heißt es in der Apostelgeschichte: ‚Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.‘ Daher sollte, wenn der Papst etwas gegen die Heilige Schrift, die Glaubensartikel, die Wahrheit der Sakramente oder die Gebote des natürlichen oder göttlichen Gesetzes befehlen würde, ihm nicht gehorcht werden, sondern in solchen Anordnungen sollte er missachtet werden.
Als zweiten Zeugen führt Newman den Kirchenlehrer und Heiligen Robert Bellarmin an, der bezüglich des Widerstands gegen den Papst schreibt: „Um sich zu widersetzen und sich zu verteidigen, ist keine Autorität erforderlich ... Daher ist es erlaubt, sich dem Papst zu widersetzen, wenn er eine Person angreifen würde, ebenso ist es erlaubt, sich ihm zu widersetzen, wenn er Seelen angreift oder den Staat stört, und noch mehr, wenn er versuchen würde, die Kirche zu zerstören. Es ist erlaubt, sage ich, sich ihm zu widersetzen, indem man nicht das tut, was er befiehlt, und die Ausführung seines Willens verhindert“ (De Rom. Pont., ii. 29).
Man darf dies selbstverständlich nicht so auslegen, als müsste der einfache Gläubige bei jeder Entscheidung aus Rom zunächst mit seinem Gewissen zurate gehen und skrupelhaft überlegen, ob diese nun mit dem Wort Gottes zu vereinbaren ist. Das würde bedeuten, in das gegenteilige (protestantische) Extrem zu verfallen. Ja, wir müssen nach unserem Gewissen handeln, aber es ist auch nicht ein jeder sein eigener Papst! Ein gut geformtes Gewissen handelt in Einheit mit der Weltkirche. Damit ist nicht nur die Einheit mit der jetzt lebenden Generation von Gläubigen gemeint, sondern auch die Einheit mit allen uns vorausgegangenen Generationen. Normalerweise hat die Kirche Institutionen wie Bischofssynoden und Konzilien, die dem Heiligen Vater erlauben festzustellen, ob Einmütigkeit im Hinblick auf eine vermutete Entwicklung in der Lehre besteht oder nicht. Dass der Heilige Vater diese im Vorfeld der Veröffentlichung von Fiducia Supplicans nicht zurate gezogen hat, merken nun selbst jene Theologen an, die ansonsten eher dazu tendieren, alle seine Entscheidungen zu bejubeln.
Solange ich denken kann, waren die Entscheidungen aus Rom grundsolide und der Heilige Stuhl tatsächlich ein Fels in der Brandung des Zeitgeistes. Die gegenwärtige Situation hat es zumindest in jüngster Zeit so noch nicht gegeben. Manch einer will zwar argumentieren, dass die Situation jetzt die gleiche sei wie 1968 nach der Veröffentlichung von Humanae Vitae, was so aber nicht stimmt. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass Humanae Vitae nur die bis dahin ständige Lehre über den Gebrauch von Verhütungsmitteln bestätigt und sich gerade gegen eine von manchen Theologen behauptete Weiterentwicklung ausgesprochen hat. Fiducia Supplicans hingegen behauptet eine Lehrentwicklung, ohne die nötige Kohärenz mit der beständigen Lehre der Kirche auch nur im Ansatz nachzuweisen.
Ich denke, es gibt einen guten Grund, warum wir schon im Evangelium sehen, dass auch Päpste irren und den Gläubigen zum Stein des Anstoßes (Griechisch: Skandalon) werden können. Nicht umsonst sagt Jesus zu demselben Petrus, den er gerade zum Felsen der Kirche gemacht hat, und der ihn nun von seinem Kreuzweg abhalten will: „Geh hinter mich, Satan! Du bist mir ein Skandalon (ein Stolperstein), denn du denkst nicht wie Gott denkt, sondern wie die Menschen denken“ (Mt 16:21). Der spätere Papst, Joseph Ratzinger, kommentiert diese Stelle folgendermaßen:
Er, der von Gott her Felsgrund sein darf, ist vom eigenen her, ein Stein auf dem Weg, der den Fuß zum Stolpern bringen will. Die Spannung zwischen der Gabe vom Herrn her und dem eigenen Vermögen wird hier auf erregende Weise sichtbar; irgendwie ist darin das ganze Drama der Papstgeschichte vorweg genommen, in der uns immer wieder beides begegnet: dass das Papsttum durch eine nicht aus ihm selber stammende Kraft Fundament der Kirche bleibt und dass zugleich einzelne Päpste aus dem Eigenen ihres Menschseins heraus immer wieder zum Skandalon werden, weil sie Christus voran gehen, nicht nachfolgen wollen; weil sie glauben, aus ihrer Logik heraus den Weg festlegen zu müssen, den doch nur er selbst bestimmen kann: »Du denkst nicht, was Gottes, sondern was des Menschen ist« (Mt 16,23).[6]
Offensichtlich denkt Ratzinger hier nicht an persönliche moralische Verfehlungen des Nachfolgers Petri, wie wir sie etwa bei den Päpsten der Renaissancezeit zuhauf beobachten konnten. Nein, er denkt an päpstliche Entscheidungen, die der Kirche einen anderen Weg als den Weg Gottes anempfehlen. Seinem Kommentar zufolge ist dies in der Kirchengeschichte immer wieder vorgekommen, und dies sollte uns trösten, weil es beweist, dass der Herr die Kirche trotzdem immer wieder auf den rechten Weg zurückgeführt hat und auch dem Papst, trotz seiner Schwäche, weder seine Treue noch dessen Amt entzogen hat. Das Wort vom Felsen, den die Mächte der Hölle nicht überwinden werden, gilt! Insofern wissen wir, dass wir auch in dieser Hinsicht dem Vorbild Jesu folgen und dem Papst die Treue halten müssen. Aber wahre Liebe und Treue zum Papst schließt nicht aus, dass man ihn, wenn nötig, zurechtweist, wie es der Herr selbst getan hat und wie es auch Paulus mit Petrus getan hat (siehe Galater 2).
Aus dem oben gesagten ergibt sich meines Erachtens, dass Fiducia Supplicans die von dem späteren Papst Benedikt aufgeführten Kriterien für eine verbindliche Entscheidung (noch) nicht erfüllt und insofern auch für unser Gewissen (zumindest bisher) nicht bindend ist. Zudem ist es die beständige Lehre der Kirche, dass man nie und unter keinen Umständen, selbst wenn ein kirchlicher Oberer dies gebietet, gegen das eigene Gewissen verstoßen darf.[7] Als Laien, die wir nur mittelbar von dieser Deklaration betroffen sind, denke ich, ist es nun unsere Aufgabe, auf unser Gewissen zu hören und, wo angemessen, auch unsere Stimme zu erheben. Gerade in einer Zeit, da die Gewissensfreiheit im öffentlichen Diskurs immer stärker gefährdet wird, ist es wichtig, dass wir sie gerade als Kirche und in der Kirche verteidigen und respektieren. Vor allem aber, müssen wir nun um so intensiver für die Einheit der Kirche beten, für den Papst und die Bischöfe und auch für die Priester, dass sie den Mut haben, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen und das Zeugnis des Evangeliums nicht zu verdunkeln.
In diesem Gebetsanliegen verbunden,
Ihre
Nina Heereman
[1] Entscheidend ist allein der Wortlaut der Deklaration. Selbst wenn die nachgereichte Erklärung von Kardinal Fernandez so restriktiv ausgelegt werden sollte, wie ich dies hier tue, so hat sie, mangels Approbation des Papstes, nicht dieselbe lehramtliche Autorität wie Fiducia Supplicans selbst.
[2] Ich denke es ist selbstverständlich, dass jeder Hirte nach dem Herzen Gottes die Intention des Heiligen Vaters im Grunde teilt. Die Kirche muss effektive Mittel und Wege finden, gerade und vor allem Menschen in irregulären Situationen beizustehen, und hat auf diesem Gebiet leider einen großen Nachholbedarf. Die Frage ist nur: „wie“?
[3]. Joseph Ratzinger, „Primat und Episkopat“, in JRGS 8/1, Freiburg 2010, S. 657 (Hervorhebung hinzugefügt).
[4]. Joseph Ratzinger, “Kommentar zu den »Bekanntmachungen« in: JRGS 7/2, Freiburg 2012, S. 702.
[5]. John Henry Newman, Letter to the Duke of Norfolk, „8. The Vatican Council“, (meine Übersetzung). Online: https://www.newmanreader.org/works/anglicans/volume2/gladstone/section8.html. Accessed: 12.01.2014.
[6]. Joseph Ratzinger, „Primat Petri und Einheit der Kirche“, in JRGS 8/1, Freiburg, 2010, S. 619.
[7] In diesen Kontext gehört der oft missverstandene Spruch des Hl. John Henry Newman aus dem schon zitierten Brief an den Herzog von Norfolk (1874): „Wenn ich ... einen Toast auf die Religion ausbringen müsste, würde ich auf den Papst trinken. Aber zuerst auf das Gewissen. Dann erst auf den Papst“.
Die sehr differenzierte Erklärung zu Fiducia Supplicans im Substack ist wirklich hilfreich. Ich fürchte aber, dass in der Öffentlichkeit leider nur ankommt, dass die r.k.K. dazu übergegangen ist, die dort thematisierte Sünde zu segnen, also für gut zu erklären. Und schlimmer noch; das lesen auch islamische Theologen. Was das für Folgen haben kann, wage ich nicht mal auszusprechen, denn im Islam wird Homosexualität als das angesehen, was sie ist, nämlich die Abkehr von Gottes Vorstellungen von einem Abbild seiner Herrlichkeit. Mit dem Selbstverständnis des Islams, die rächende Hand Allahs zu sein, kann das verheerende Folgen für die Christenheit bedeuten, denn ich zähle die evangelikale Welt mit dazu, wo man schon lange vor PF diesen Weg eingeschlagen hat. Somit hat sich unser PF zum Handlanger des Feindes Gottes gemacht. Der Islam kennt wie das Judentum nur den gerechten Gott und glaubt, etwas Gutes zu tun, wenn sie uns zukünftig verfolgen. Fiducia Supplicans ist eine unüberlegte Aktion, die uns schaden wird.
Irreguläre Beziehungen sind nach Definition ja nicht nur homosexuelle Paare - so müsste das "Nichtsegnendürfen" konsequenterweise ja auch auf alle Geschieden Wiederverheirateten ausgedehnt werden. Dies ließe sich in der Praxis weder durchsetzen, noch eine Akzeptanz der meisten Mitglieder finden!